Die Mani
Fotos: privat
Die Mani ist kein Ort, den man bereist. Sie ist eine Gegend, die einen prüft. Eine schmale Landzunge, steinig, karg, von Türmen durchbohrt wie von alten Zähnen. Die Dörfer hocken zwischen Felsen, als hätten sie beschlossen, hier unten am Ende des Peloponnes lieber hartnäckig zu versteinern, als sich dem Tourismus zu ergeben.
Olivenhaine ziehen sich bis ans Meer, graugrün, silbern im Wind, und dazwischen liegt der Kalk. Alles riecht nach Thymian, Salz und Eisen. Wer hier durchfährt, merkt schnell: Die Mani ist ein widerspenstiger Ort. Kein Postkarten-Griechenland, sondern ein Landstrich für die, die mit Schweigen umgehen können.
In den Tavernen knackt der Tisch beim Auflegen des Brotes, der Wein ist einfach, fast grob, und der Blick verliert sich zwischen Bergen und Meer. Man hat das Gefühl, die Landschaft sei nicht Kulisse, sondern Gegner. Eine Schönheit, die keinen Schritt zurückweicht, die fordert, dass man bleibt, bis man versteht: Hier gibt es nicht viele Geschichten für Reiseführer.
Wer von Areopoli aus Richtung Süden fährt, spürt, wie die Welt sich verändert. Das Städtchen selbst ist noch lebendig: Plätze mit Cafés, Kinder, die zwischen parkenden Autos spielen, und ein Wochenmarkt, auf dem Käse und Honig verkauft werden. Aber schon ein paar Kilometer weiter wird es stiller, leerer. Die Häuser bestehen fast nur noch aus Stein, ohne Putz, ohne Schmuck. Manchmal glaubt man, ein Dorf sei verlassen, bis plötzlich eine Wäscheleine zwischen den Mauern hängt oder ein paar alter Männer im Schatten sitzen.
In Vathia türmen sich die steinernen Häuser wie eine kleine Festung auf einem Hügel. Viele sind verfallen, die Fenster leer, aber die Silhouetten stehen noch immer wie eine Armee, die den Horizont bewacht. Von oben sieht man das Meer auf beiden Seiten, endlos, als würde das Land hier eher schmaler als breiter werden. Es ist einer dieser Orte, an denen man versteht, warum Menschen ihre Häuser nicht zum Wohnen, sondern zum Überleben bauten.
Die Küste ist voller kleiner Buchten. Manche erreicht man nur über Schotterwege, die enden, wo der Fels ins Wasser kippt. Der Strand ist selten Sand, meistens Stein, manchmal grob, manchmal glatt wie Kiesel, die seit Jahrhunderten geschliffen wurden. Das Meer ist klar, fast zu klar – man sieht die Felsen unter sich und schwimmt trotzdem hinaus, weil es schwer ist, diesem Wasser zu widerstehen.
Weiter südlich, am Kap Tenaro, hört die Straße irgendwann auf. Ein Pfad führt über Steine, vorbei an den Ruinen eines kleinen Tempels. Der Leuchtturm am Ende wirkt wie der letzte Punkt auf der Landkarte. Wenn der Wind stark ist, bleibt man nicht lange. Es ist einer dieser Orte, an denen man merkt, dass Europa hier tatsächlich zu Ende ist – nicht als große Erkenntnis, sondern ganz schlicht, weil dahinter nur noch Meer kommt.
Und zwischendurch wieder Alltag. Limeni zum Beispiel, eine kleine Bucht mit Wasser so türkis, dass es fast kitschig wirkt, wenn nicht die grauen Steine drumherum wären, die es erden. Eine Taverne, ein paar Zimmer, ein Fischerboot, das im Hafen schaukelt. Nicht mehr, nicht weniger. Die Mani kennt keine Steigerung. Sie bleibt knapp, auch an ihren schönsten Stellen.
Man fährt durch die Landschaft, sieht Meer und Stein, immer wieder, und merkt irgendwann, dass es genug ist. Dass nichts fehlt. Die Mani erklärt nichts, sie nimmt eher weg – Geräusche, Dekor, Überfluss. Am Ende bleibt man zurück mit Fels, Wind, Wasser und Licht.
Und wenn am Abend die Türme rot aufleuchten und das Meer darunter dunkel wird, versteht man, dass die Mani gar nicht erzählt werden will.



